Unsere ehemalige Schulsprecherin engagiert sich für ihre Mitmenschen, wie sie nur kann und wo immer sie ist: Bei uns hatte sie zahlreiche Projekte mithilfe der SV und der Club-of-Rome -AG unterstützt oder sogar ins Leben gerufen; im letzten Jahr hat sie Kindern geholfen, die es besonders nötig haben. Hier ihr Bericht – mögicherweise eine Inspiration für angehende Abiturient*innen?!
Bericht über mein freiwilliges soziales Jahr in Kambodscha von 2019-2020
Am 29. Januar 2019 bin ich in mein Abenteuer gestartet. Ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) auf einer Mülldeponie in Battambang, Kambodscha. Dieses Jahr hat mich viel Überwindung gekostet, ich hatte Höhen und Tiefen, wundervolle Begegnungen und ganz neue Eindrücke aus einer neuen Welt, die mich nun prägen. Den Gedanken an ein FSJ im Ausland hatte ich bereits mit 14 Jahren, denn zu dem Zeitpunkt saß ich im Englischunterricht von Maren Schöne, die uns über verschiedene Möglichkeiten aufklärte. Diese Möglichkeiten haben mich inspiriert und so wollte ich mehr über unsere Welt lernen, sie entdecken und meinen Horizont erweitern. Mich interessieren die großen Fragen unserer Zeit: Wie wirkt sich unser Lebensstil im globalen Norden auf die Länder im globalen Süden aus? Warum gibt es Armut und Hunger in einer Welt, die jede erdenkliche Möglichkeit hätte jeden einzelnen Menschen auf unserem Planeten satt zu bekommen? Wie leben Menschen in den sogenannten „Dritte-Welt Ländern“? Fragen über Fragen, die mir durch den Kopf gingen. Doch eins stand für mich immer im Vordergrund: Ich möchte anderen Menschen helfen. Kinderarmut hat mich schon immer bedrückt, denn kein Kind auf dieser Welt sollte unter Hunger und Obdachlosigkeit leiden müssen. Ich hatte also sehr viele Visionen und Ziele, bevor ich das FSJ angetreten bin. Als die TKG (Thüringisch-Kambodschanische-Gesellschaft), also eine deutsche NGO mir die Möglichkeit bot nach Kambodscha zu reisen um dort mit Kindern auf einer Mülldeponie zusammen zu arbeiten, zögerte ich nicht lange und nahm das Angebot an. Und so ging es dann Ende Januar los: Auf der einen Seite verpürte ich Freude über alles, was nun kommt und über die ganzen neuen Erfahrungen, die ich durch diese einzigartige Möglichkeit sammeln könnte. Doch auf der anderen Seite war dieses bedrückende Gefühl da, dass ich nun meine Familie und Freund*innen für ein ganzes Jahr hinter mich lasse. Und so saß ich mit Tränen in den Augen am Gate des Frankfurter Flughafens, wo ich darauf wartete bald ins Flugzeug steigen zu können. Es war eine Unsicherheit da, die mich anfangs ständig begleitete: Was, wenn ich mich im Ausland nicht zurecht finde? Was, wenn ich keine neuen Freundschaften knüpfen kann? Was, wenn ich mal einer Riesenspinne oder anderen ekelhaften Insekten begegne? Letzteres hat sich dann direkt nach meiner Ankunft in Siem Reap schon mal bewahrheitet: Überall Ameisenstraßen, Mücken, komische Tiere! Und die ganzen Straßen, die Hitze, das Chaos… Oje, wie soll ich mich hier zurecht finden? Gleichzeitig war ich überwältigt von der schönen Natur, den freundlichen Menschen, dem leckeren Essen und allem drum und dran. Mit dem Bus ging es dann nach Battambang, einer kleinen Provinz 8 Stunden von der Hauptstadt Phnom Penh entfernt. Als ich dort in meine WG mit ebenfalls deutschen Freiwilligen ankam, die Stadt und meine Arbeitsstelle kennenlernte, fühlte ich mich zunächst gut aufgehoben. Die Kinder im „Sozialen Abfallzentrum Battambang“ (SAB), so heißt die Bildungseinrichtung, haben mich mit offenen Herzen empfangen, genauso wie meine kambodschanischen Kolleg*innen. Schnell stellte sich aber raus, dass mir die Kommunikation sehr schwer fällt, da die Kinder und auch meine Kolleg*innen nicht viel Englisch sprechen. Also fing ich mit Khmer Unterricht an, denn die Sprache hilft uns nicht nur zu kommunizieren, sie hilft auch die Kultur eines Landes, seine Geschichte und die Mentalität der Menschen kennenzulernen und besser zu verstehen. Der Khmer Unterricht lief gut, ich habe sehr viel in kurzer Zeit gelernt, zum Schluss des FSJ sogar das Schreiben. Doch richtige Freundschaften habe ich immernoch nicht knüpfen können. Mit den deutschen Freiwilligen aus derselben NGO habe ich mich aus verschiedenen Gründen nicht wirklich gut verstanden und dadurch habe ich gelernt auch mit Einsamkeit umzugehen. Das war eine der größten Herausforderungen zu Beginn dieser Reise für mich, denn zuhause in Offenbach hatte ich immer meine Freund*innen, mit denen ich etwas unternehmen konnte und die mir das Gefühl gaben nicht auf mich alleine gestellt zu sein. Und auch sonst habe ich nie Probleme damit gehabt Menschen kennenzulernen und mich anzufreunden. Nur wieso funktioniert das nicht in Kambodscha? Liegt es an mir? Doch es lag weder an mir, noch an jemand anderem. Ich musste lernen, dass ich meine Komfortzone verlassen habe, dass ich gerade in einem anderen Land bin und dass ich mir Zeit geben sollte. Also verbrachte ich die ersten drei Monate viel Zeit mit mir selbst, versuchte so viel Khmer wie nur möglich zu lernen und eine Beziehung zu den Kindern auf der Arbeit aufzubauen. Der erste Arbeitstag war nicht einfach: Ich wurde von meiner Kollegin auf die Deponie mitgenommen, die sich direkt an dem Bildungszentrum befindet. Dort liegen Berge an Müll und mittendrin: Selbstgebaute, instabile Hütten, in denen Kinder und Babys mit ihren Eltern oder Großeltern leben. Umgeben von giftigem Müll, schädlichen Tieren, Rauch und unzähligen Fliegen.
Dieser Anblick am frühen Morgen hat mich schockiert und mein Herz zum Weinen gebracht, bis einige Kinder auf dieser Deponie lachend auf mich zurannten, mich direkt umarmten und kennenlernen wollten. Ich habe die Kinder sehr stark ins Herz geschlossen und viel von ihnen gelernt. Die Umstände, unter denen sie dort leben, sind unzumutbar, unmenschlich und schrecklich. Ohne Spendengelder hätten viele von ihnen garnicht die Möglichkeit in die Schule zu gehen. Ihre Zukunftsperspektiven sind von vorneherein determiniert und begrenzt. Das hat auch etwas mit uns zu tun! Wir (Deutschland und weitere europäische Staaten) verschiffen unseren Müll nach Südostasien, dort landet er dann auf solchen Deponien wo Existenzen von Familien und Kindern von ihm abhängig werden. Auch unser Müll, allen voran Plastikmüll, landet auf dieser Deponie und bedroht die Gesundheit und das Leben der Menschen vor Ort. Es ist eine Katastrophe und muss aufhören. Wir können einen Teil dazu beitragen, indem wir auf unseren Konsum achten. Versucht Plastik so gut es geht zu vermeiden, das geht über viele Wege: Bambusbecher, Mehrwegflaschen, Metallstrohhalme, Jutebeutel und Papiertüten usw… Kambodscha versinkt im Plastikmüll, auch vor Ort versuchen NGOs und lokale Initiativen auf mehr Umweltbewusstsein aufmerksam zu machen, genauso wie wir im Bildungszentrum. Neben der Betreuung der kleinen Kinder und Babys, habe ich Englisch unterrichtet und verschiedene Aktionen (zum Weltfrauentag, Weltkindertag usw) organisiert. Der Zugang zu Bildung ist essenziell, denn das ist die einzige Möglichkeit für die Kinder von der Deponie wegzukommen. Was ich von den Kindern gelernt habe ist es niemals aufzugeben, mutig zu sein und anderen zu helfen. Deshalb wollte ich auch ihnen helfen und habe mich darum bemüht um Patenschaften in Deutschland zu vermitteln, um ihnen langfristig zu helfen. Das heißt konkret, dass jemand in Deutschland am Anfang des Jahres Geld für ein Kind überweist und diesem Kind damit den Schulbesuch ermöglicht.
Die Menschen in Kambodscha haben in der Vergangenheit viel durchgemacht: Kambodscha stand unter der Kolonialherrschaft Frankreichs, was in Teilen immernoch sichtbar ist. Zudem ist das Land geprägt vom Genozid unter der Herrschaft der Roten Khmer von 1975-1979. Auf den Killing Fields in Phnom Penh sieht man die schrecklichen Foltermethoden und weitere furchtbare Verbrechen, die den Menschen, darunter Kindern, angetan wurden. Leider sind auch diese furchtbaren Menschheitsverbrechen Teil der Geschichte dieses Landes, mit der ich mich auseinandergesetzt habe, um das Land und die Leute besser zu verstehen. Kambodscha ist wunderbar, die Menschen sind nett, gastfreundlich, liebevoll, aufgeschlossen und so gut, trotz dessen, dass die traurige Vergangenheit garnicht so lange her ist und viele immernoch mitnimmt. Das ist auch ein Appell an uns alle, denn wir dürfen es niemals zulassen, dass Menschen in irgendeiner Art und Weise gefoltert und ihrer Würde beraubt werden, nur, weil sie eine andere Meinung haben und anders denken als wir. Wenn etwas ungerechtes passiert, müssen wir dagegenhalten.
Mit der Zeit haben sich meine Sprachkenntnisse durch den Khmer Unterricht gebessert und ich habe fast nur noch auf Khmer mit den Menschen gesprochen. Sie waren immer sehr interessiert daran wo ich herkomme und wieso ich so gut Khmer sprechen könne. Nachdem diese Sprachbarriere überwunden war, hat die Freundschaftsfindung auch funktioniert. Mein Khmer-Lehrer Oudom, der selbst Kambodschaner ist und sehr junger Student, hat mich seinen Freund*innen vorgestellt, mit denen ich letztendlich Freund*innen für’s Leben gefunden habe. Mit Suobran, Nisha, Rebecca, Reaksmey und Oudom habe ich besondere Einblicke in die kambodschanische Kultur bekommen. Ich war froh darüber endlich nach über drei Monaten richtige Freund*innen gefunden zu haben, mit welchen ich mein Leben und meine Erfahrungen teilen kann, mit denen ich lachen, weinen und so viele neue Abenteuer erleben kann. Es ist garnicht so einfach die ganzen Erlebnisse und Erfahrungen zusammenzufassen. Aber ich komme hier erstmal zu einem Punkt. Das FSJ in Kambodscha hat mir neue Perspektiven aufgezeigt, meinen Horizont erweitert, mir gezeigt wie andere Welten aussehen, mich ermutigt weiterhin für meine Überzeugungen und Visionen einzustehen und mir deutlich gemacht wie wichtig soziale Kompetenzen, Mitmenschlichkeit, Empathie und Liebe in einer Welt voller Hass, Armut, Leid, Hunger und Rücksichtslosigkeit doch sind. Eine der wichtigsten Lektionen für mich war Folgende: Ich (und auch andere Europäer*innen) haben keinerlei Anspruch darauf in ein Entwicklungsland zu gehen mit der Vorstellung, dass wir alles dort verändern werden. Das ist falsch und auch ich musste das um ehrlich zu sein erst lernen. Um etwas zu verändern darf man nicht über die Köpfe der Menschen vor Ort hinweg entscheiden, man muss sie miteinbeziehen und ihre Sichtweise respektieren. Wir haben kein Recht darauf unsere Normen anderen aufzuzwingen, vor allem nicht mit unserer kolonialen Vergangenheit. Wenn wir helfen wollen, müssen wir miteinander sprechen und gemeinsam Lösungen finden. Lasst uns genau das tun. Mehr miteinander sprechen und uns gegenseitig zuhören. Geschichten erzählen und Geschichten hören. Wir schreiben die Zukunft von morgen. UNSERE Zukunft. Lasst sie uns jetzt in die Hand nehmen, uns weiterbilden, ein Bewusstsein schaffen und diese Welt durch kleine Schritte verbessern. Und ich kann jede*n nur ermutigen ein Auslandsjahr zu machen, diese Chance nach dem Abitur, in diesem jungen Alter habt ihr nur einmal. Nutzt sie, denn diese Welt hat so viel mehr zu bieten, was man aber nicht erfährt, wenn man sich nicht weiterbewegt. Übrigens, wen es noch interessiert: Ich bin im Februar 2020 wiedergekommen und studiere seitdem Philosophie und Geschichte auf Lehramt. Die Erfahrungen, die ich im Ausland gemacht habe, prägen meine Entscheidungen, Visionen, Ziele und Träume.
Eure Hibba
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